Oktober 31, 2017 8:12 pm Published by

Ausgleich für pflegende Kinder bei längerer Pflege des Erblassers – Höhe der Ausgleichung

Urteil des OLG Schleswig vom 22.11.2016

Pflege ist – gerade in den letzten Lebensmonaten – sehr teuer und kann, wenn sich Angehörige nicht aktiv an der Pflege beteiligen, das Vermögen des Erblassers erheblich reduzieren.
Oft sind es die Kinder oder Enkelkinder (Abkömmlinge) des Erblassers, die den Erblasser durch ihre Pflegeleistung unterstützen und im Idealfall so seinen langen Verbleib in den eigenen vier Wänden ermöglichen. Für die pflegenden Abkömmlinge ist das nicht selten eine enorme zeitliche, psychische und auch physische Belastung und oft nehmen sie dafür auch Einkommenseinbußen in Kauf. Auf der anderen Seite tragen sie so wesentlich dazu bei, das Erblasservermögen zu erhalten.

Deshalb können pflegende Abkömmlinge nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Auseinandersetzung des Nachlasses eine Ausgleichung von den anderen Abkömmlingen verlangen, wenn diese ebenfalls gesetzliche Erben sind oder wie gesetzliche Erben vom Erblasser bedacht worden sind, §§ 2057a, 2052 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Das OLG Schleswig hat dazu nun in seinem Urteil vom 22.11.2016, veröffentlicht in der Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge vom 14.07.2017, den Rahmen für die Ermittlung der Höhe der Ausgleichung gesteckt.

Vereinfacht dargestellt geht es in dem Urteil im Wesentlichen um den Ausgleichsanspruch eines Sohnes (Kläger) der seine eigene Wohnung aufgegeben hatte und seine pflegebedürftige Mutter über ca. 8 Jahre in deren eigenem Haus bis zu ihrem Tod betreut hat. Die letzten ca. 3,5 Jahre wurde die Mutter zusätzlich durch professionelles Pflegepersonal betreut. Der Kläger hatte gegen seine Miterben, nämlich seinen Bruder (Beklagter zu 1) und die Kinder seiner vorverstorbenen Schwester auf Feststellung geklagt, dass ihm ein Ausgleichungsbetrag in Höhe von 40.000,- € zu zahlen sei.

Nachdem er erstinstanzlich nur in Höhe von 35.000,- € Recht bekommen hatte, hat der Kläger Berufung eingelegt, welcher sich der Beklagte zu 1 u.a. angeschlossen hat. Im Ergebnis hatte die Berufung des Klägers Erfolg, sein Ausgleichsbetrag wurde mit 40.000,- festgesetzt. Die Berufung des Beklagten zu 1 wurde vollumfänglich zurückgewiesen.

Die wesentlichen Eckpunkte dieser Entscheidung sind:

  • Es ist Sinn und Zweck von § 2057a BGB im Interesse des Pflegebedürftigen eine Heimunterbringung oder eine Versorgung durch fremde professionelle Kräfte möglichst zu vermeiden. So kann auch die bloße Anwesenheit des Abkömmlings als Pflegeleistung im Sinne der Vorschrift anzuse-hen sein, wenn er für Gespräche und für die Sicherheit des Pflegebedürftigen bei plötzlich notwendig werdender Hilfe zur Verfügung steht.
  • Eine Ausgleichspflicht für die Pflegeleistungen eines Abkömmlings besteht nur dann, wenn die Pflegeleistungen zum Erhalt des Erblasservermögens beigetragen haben.
  • Der Erhalt des Erblasservermögens kann aus der Ersparnis der Beträge ermittelt werden, die zusätzlich aus dem Erblasservermögen für eine professionelle Pflege oder eine Heimunterbrin-gung hätten ausgegeben werden müssen.
  • Auch die besondere Bedeutung der Pflegleistung des Abkömmlings für den Erblasser ist zu berücksichtigen. Die Ausgleichung kann deshalb höher ausfallen als der in Geld ausgedrückte Wert um den das Vermögen des Erblassers erhalten geblieben ist.
  • Für den Begriff der Pflegeleistungen i.S.v. § 2057a BGB ist § 14 des Sozialgesetzbuches (SGB) Elf-tes Buch (XI) – Soziale Pflegeversicherung heranzuziehen und damit sind auch solche Leistungen einzubeziehen, die im Rahmen des Begriffes der Pflegebedürftigkeit aufgeführt werden. Damit fallen auch gewöhnliche und wiederkehrende Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens darunter, für die Pflegebedürftige Hilfe benötigen. Das sind beispielsweise Verrichtungen im Bereich der Körperpflege wie das tägliche Waschen oder Zahnpflege, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten und die Aufnahme der Nahrung oder im Bereich der Mobilität das Aufstehen oder das Zu-Bett-Gehen.
  • Für die Berechnung des Ausgleichungsbetrages ist keine minutiöse Einzelfeststellung erforder-lich, sondern eine Gesamtschau, die drei Prüfungsstufen umfasst:
    • Die Dauer und den Umfang der auszugleichenden Leistung, insbesondere den Leistungszeitraum und den täglichen Aufwand. Daraus ist abzuleiten, in welchem Umfang der Nachlass erhalten wurde.
    • Den (auch immateriellen) Wert der Pflege des Abkömmlings für den Erblasser. Für den pfle-genden Abkömmling sind aber auch die Nachteile wie z.B. Einkommensverluste und die Vor-teile, wie beispielsweise kostenfreies Wohnen zu berücksichtigen.
      Das Berufungsgericht hat im konkreten Fall einen besonderen immateriellen Wert der Pflegeleistung für die Erblasserin bejaht, die gegenüber Zeugen immer wieder betont hatte, wie wichtig ihr es war, zuhause gepflegt zu werden. In seiner Wertung im Rahmen der Billigkeit hat das Berufungsgericht daher die zuvor festgestellte Summe für den Erhalt des Nachlasses verdoppelt.
    • Die Vermögensinteressen der übrigen Erben und der Pflichtteilsberechtigten sowie die Höhe des gesamten Nachlasses, so darf der Ausgleichungsbetrag den Wert des gesamten Nachlasses nicht erreichen.

 

Im konkreten Fall hat das OLG einen Ausgleichungsbetrag von 40.000,- € in Relation zum Wert des Nachlasses von etwa 170.000,- € für angemessen erachtet. Die Vermögensinteressen der Miterben seien gewahrt, da der Pflichtteil des Beklagten zu 1 ohne die Ausgleichung 28.000,- € betragen hätte, sein Erbteil hingegen nach Ausgleichung immer noch 43.000,- € beträgt, also den Pflichtteil deutlich übersteigt.

Das OLG Schleswig beleuchtet in seinem Urteil noch weitere Aspekte der sehr komplexen Materie, deren Darstellung hier zu weit gehen würde.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich im besten Fall bereits der Erblasser, der Pflegeleistungen durch seine Abkömmlinge in Anspruch nimmt, rechtzeitig über die erbrechtliche Gestaltung bei einem Rechtsanwalt beraten lassen sollte. Auch die betroffenen Kinder oder Enkelkinder, sollten sich spätestens nach dem Erbfall anwaltlichen Rat einholen.

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This post was written by Yvonne Pömsl